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Gabriele Tergit
Elise Hirschmann wurde am 4. März 1894 in Berlin geboren, ihr Vater war Gründer der Deutschen Kabelwerke. Die Familie ihrer Mutter stammte aus Bayern. Aufgewachsen im proletarischen Berliner Osten, entwickelte sie früh eine Anteilnahme am Leben der sozial Benachteiligten und ein Interesse für ihre Lebensweise. Sie besuchte die Soziale Frauenschule von Alice Salomon und arbeitete in Kinderhorten. Ihren ersten Artikel veröffentlichte sie 1915 in einer Beilage des Berliner Tageblatts. Ab 1919 studierte sie Geschichte, Soziologie und Philosophie in Berlin, München, Heidelberg und Frankfurt am Main, wo sie 1923 promoviert wurde. 1928 heiratete sie den Architekten Heinz Reifenberg.
Während des Studiums veröffentlichte sie Feuilletons in der Vossischen Zeitung und dem Berliner Tageblatt (Mosse-Verlag), bei dem sie 1924 ihre erste feste Anstellung erhielt. Unter dem Pseudonym Gabriele Tergit schrieb sie Gerichtsreportagen und beschrieb darin die soziale Lage ihrer Zeit. Durch ihre Berichte über die Fememörder der Schwarzen Reichswehr 1927 zog sie den Hass der Nationalsozialisten auf sich. Mit ihrem ersten Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm (1931) wurde sie in ganz Deutschland bekannt und zu einem Gesicht der Berliner Neuen Sachlichkeit.
Am 5. März 1933 um drei Uhr morgens überfiel die SA die Tergit-Reifenbergsche Wohnung in Siegmundshof in Berlin-Tiergarten. Die SA scheiterte an der mit Eisenbeschlägen verstärkten Tür. Sie floh mit ihrem Sohn nach Spindlermühle in der Tschechoslowakei. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie mit nahezu zwanzig unterschiedlichen Adressen im Exil. Ihr Mann bekam einen Architekturauftrag in Palästina und emigrierte daraufhin ebenfalls. Nach einem Aufenthalt in Prag folgten Gabriele Tergit und der Sohn ihrem Mann im November 1933 nach Jerusalem nach. In dieser Zeit schrieb sie die für unseren Zusammenhang bedeutsamen Palästina-Reportagen, die teilweise in Zeitschriften erschienen und teilweise – vor allem da, wo sie sich mehr theoretisch (und kritisch) mit dem zionistischen Gedanken einer jüdischen Rückkehr in das Land Israel und seiner praktischen Umsetzung befasste – von ihr selbst zurückgehalten und erst 1996 publiziert (Im Schnellzug nach Haifa. Hrsg. v. Jens Brüning, mit einem Nachwort von Joachim Schlör. Berlin: Transit Verlag 1996).
Im Text "Überfahrt 1933" schildert sie die Ankunft der bürgerlichen deutschen Juden im fremden Land, in einem Feuilleton Von den Kuchen der Völker, die uns hinauswarfen, beschreibt sie das Festhalten der „Jeckes“ an ihren deutschen (und Berliner) Vorlieben. Sie versucht, sich selbst mit dem Land vertraut zu machen und stellt dem „gewachsenen“ arabischen Palästina das „angelegte“ jüdische Palästina gegenüber. Sie beschreibt Jerusalem und die landwirtschaftlichen Siedlungen, aber aus ihren Texten spricht bald eine neue Fremdwerdung und ein Gefühl der alle Wahrnehmung durchdringenden Ortlosigkeit.
1938 besuchten die Reifenbergs die Weltausstellung in Paris: „Wir waren sehr glücklich in Europa, sind dann nach London weitergekommen, haben uns entschieden, dort zu leben. Auch, weil wir unsere Bedenken hatten, unseren Sohn in der hebräischen Sprache aufwachsen zu sehen. Auch wußten wir nicht, wie es in Palästina weitergeht. Mein Mann und ich haben auch die Araber-Frage gesehen. Zudem waren wir sehr verliebt in London, fanden es dort großartig.“ In London wurde Gabriele Tergit 1957 vom P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland als bestellte Sekretärin gewählt. Dieses Amt hatte sie bis 1981 inne. In diesen Jahren arbeitete sie an einer Autobiographie und an einem Roman, Effingers, der die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie von der bayrischen Heimat bis nach Berlin erzählt – beide Bücher fanden erst in den letzten Jahren öffentliche Aufmerksamkeit.
An einer Sache hat die durchaus streitlustige Autorin immer festgehalten – ihrem besonderen Verhältnis zur Stadt Berlin, noch im hohen Alter besuchte sie regelmäßig und anonym ihren Kurfürstendamm. Während ihr Bild von Israel in politischer Hinsicht von der Enttäuschung über das Scheitern eines arabisch-jüdischen Zusammenlebens geprägt war, gehören ihre von Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe geprägten Momentaufnahmen von Menschen und Landschaften zu den wichtigen Zeugnissen der deutsch-jüdischen Einwanderung.
Gabriele Tergit starb 1982 in London.